“Hey Walter, hast gehört? Da draußen müssen ab jetzt alle ins Home Office. Man, haben wirs gut.”
(Frank, 45, Häftling)
Heute widmen wir uns einmal einem sehr spannenden Vergleich. Im März 2020, zu Beginn der weltweiten Coronapandemie, hat die Zeitung “Welt” einen Artikel veröffentlicht, welcher berichtet, dass Häftlinge in einer JVA nicht ins Home Office geschickt werden.
“Tausende Häftlinge in NRW arbeiten in Gefängnisbetrieben. Durch Corona hat sich für die allermeisten daran erstmal nichts geändert. Ist ein Betrieb wegen des Virus geschlossen, haben die Gefangenen jetzt sogar Anrecht auf eine Entschädigung.”
(Welt, 2020)
Nach mehr als 18 Monaten im Home Office und ettlichen Sinnkrisen später ist mir nämlich genau oben genannter Artikel in die Hände gefallen und ich dachte mir: “Ja, aber Hallo, Häftling müsste man sein!” Inwiefern diese These mit meinem real gewordenem Wahnsinn zusammenhängt ist noch nicht ganz klar. Fest steht: Es folgt ein Faktencheck der ganz besonderen Art. Ich vergleiche das Home Office mit den Arbeitsbedingungen im Gefängnis.

Wer jetzt schon Schnappatmung bekommt, “weil man das doch nicht vergleichen kann”, dem empfehle ich alternativ meinen Artikel zum Thema: Warum du (k)ein Idiot bist, wenn du alles hinterfragst.
Die Isolation
Fokussieren wir uns mal auf den wohl offensichtlichsten Aspekt im Home Office: die Isolation. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Menschen, die im Home Office arbeiten und gebenenfalls sogar noch alleine leben, 40 Stunden in der Woche keinen direkten Menschenkontakt haben. Sie sind alleine mit sich und ihrem Nichts. Jeder Tag ist gleich einsam und eintönig. Wo am Anfang das Home Office noch als die Erlösung für Arbeitnehmer angepriesen wurde, ist es mittlerweile nur noch eine Qual.1 Im Gefängnis hingegen, wie wir gelernt haben, darf man weiterhin zur Arbeit gehen. Natürlich unter den geltenden Hygienevorschriften, aber besser als nichts. Hier rocken auch Walter und Frank den Arbeitstag und sind froh, dass sie aktuell im Knast sind.
Die fehlende Motivation
Zu allem soll man sich auch noch selbst motivieren. “Zieh dich schick an, dann ist es besser” – “Geh ne Runde um den Block, dann fühlt es sich an als würdest du zur Arbeit gehen.” – “Trink ab und zu mal richtig schlechten Kaffee”. Aber die Routine fehlt. Das Umfeld ist nicht da, welches einen antreibt. Der Austausch fehlt. Hinzu kommt, dass durch die fehlende Präsenz im Büro die Identifikation mit dem Arbeitgeber sinkt. Das können unsere Häftlinge nicht behaupten, sie sind Knackis, durch und durch.
Die Glücklichen unter uns dürfen ins Büro. Das ist schon immer ein Highlight, wenn man sich nach der Arbeit mit Freunden trifft und die von ihrer Zeit im Büro berichten. Man kommt sich komisch vor, wenn man neidisch fragt: “Was, bei euch seid ihr im Büro? Bei uns gibt es das ja gar nicht.” Wer hätte gedacht, dass man mal neidisch auf Menschen sein würde, die physisch präsent bei ihrem Arbeitgeber sein dürfen! Das sind Zustände, ich sags euch.
Smalltalk ade
Zusätzlich geht es im Home Office auch nur noch um die Fakten. Ein Call und es geht direkt um das Thema. Smalltalk ade. Im Büro tauscht man sich wenigstens bei einer Tasse Kaffee oder beim Mittagessen über alle möglichen Dinge aus. Teils sind das private, teils berufliche Inhalte. Aber beides ist wichtig, um die eigene Arbeitseffizienz und die Motivation zu steigern. Zusätzlich erfährt man Dinge oder bekommt Kontakte empfohlen, die man ohne das Kaffeegespräch niemals ergattert hätte. Desweiteren erntet man Anerkennung, sei es durch ein Lächeln oder ein leichtes Schulterklopfen.
“Also, wenn der Frank nicht wäre…ich hätte einiges nicht erfahren. Zum Beispiel wie ich am besten an das Zeug vom Gefängnisschwarzmarkt komme.”
(Walter, 47, sitzt wegen illegalen Geschäften)
Onboarding während Corona
Gerade in Puncto Mitarbeiteronboarding ist es im Home Office eine Herausforderung. Als neuer Arbeitnehmer bekommt man alle benötigten Unterlagen und das Equipment nach Hause geschickt und kann sich – mit etwas Glück – am ersten Tag direkt einwählen. Blöd ist nur, dass man mit der neuen Firmentechnik noch nicht so ganz vertraut ist und es passieren kann, dass man erstmal 4 Stunden vor einem nicht funktionierenden Laptop sitzt und verzweifelt versucht den eigenen Chef oder die Unternehmenssupporthotline anzurufen. Auch dieses Problem hat man im Knast nicht. Da ist man von Anfang an einfach da.

“Leider können wir Ihnen aktuell nicht weiterhelfen, melden Sie sich in drei Wochen noch einmal. Vielen Dank.”
IT Support
Arbeiten auf kleinem Raum
Auch von der aktuell angespannten Wohnraumsituation spürt man im Gefängnis nichts. Mindestens 10qm hat jeder Häftling zur Verfügung. Alles andere wäre ja menschenunwürdig, findet der Berliner Verfassungsgerichtshof.2 Die Häftlinge müssen sich nur an den Stromkosten beteiligen. Unterkunft, Sicherheit sowie Verpflegung zahlen die Bundesländer.3 Welch ein Luxus, wenn man überlegt, dass es junge Arbeitnehmer gibt mit WG Zimmern für unter 10qm, mehr als 400 Euro zahlen und auch noch aus dieser menschenunwürdigen Zelle heraus arbeiten müssen. Ich will mir gar nicht ausmalen wie vielen Menschen es aktuell so geht.
Karriere während der Pandemie
Der letzte Punkt auf der Liste, welcher in COVID-19 Zeiten und Home Office zur Herausforderung wird ist: Karriere machen. Alle jungen, energetischen Young Professionals, die nach dem Studium nun voll durchstarten wollten, haben die Arschkarte. Jetzt heißt es sitzen, sitzen, sitzen, Calls, Calls, Calls, Isolation, Verzweiflung, Depression. Die post-Covid Arbeitsgesellschaft ist nicht nur jünger denn je, sondern leidet auch früher an Burnout als jede andere Generation. Und da soll mal noch einer sagen, dass das Home Office die Gesundheit schützen soll.4 Frank und Walter hingegen haben im Knast einen populären Ex-Fußballer und deutschlands bekanntesten Hedgefondsmanager kennengelernt. Sie haben in der Freizeitphase gemeinsam Kaffee getrunken und zukünftige Perspektiven nach der Zeit im Gefängnis besprochen. Frank wird als Sachbearbeiter bei einer Bank weiter machen. Walter wechselt in eine Leitungsposition im Facility Management bei der Allianz Arena.
Lasst uns mal ein Fazit ziehen. In 18 Monaten ununterbrochenem Home Office hätte man anscheinend mehr davon gehabt im Knast zu sitzen als im Home Office zu arbeiten. Es spricht viel dafür.
Aber der Knast ist und bleibt nunmal der Knast. Wir wissen alle warum es ihn gibt und wie die Leute dort landen. Und das, meine lieben LeserInnen, kann und will ich nun wirklich nicht verantworten.
Also hoffen wir mal, dass sich das mit dem Home Office wieder einpendelt und mein Wahnsinn sich solange noch in Grenzen hält.
1 IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH (2021)
2 Der Tagesspiegel (2013)
3 Zaster Magazin (2018)
4 Handelsblatt (2021)